Schwarzwälder Kirsch
Kalte Herberge – Feldberg-Bärental
27 km ~ etwas mehr als 6 Stunden
Bei der zweiten Etappe handelt es sich um die Königsetappe, auch unter dem Begriff „Schwarzwälder Kirsch“ bekannt. Schwarzwälder Kirsch, Kult-Getränk nach einer Völlerei, die wichtigste Zutat der berühmten Torte und natürlich (sonst hätte ich es nicht aufgeführt) der Hit des gleichnamigen Heimatfilms von 1958. Nicht zu vergessen: auf einem Stück Zucker wirkt der Kirsch Wunder bei Halsschmerzen, verregneten Tagen, Schüttelfrost, Muskelkater, Liebeskummer und Gebrechen aller Art. Es soll Leute geben, so sagt man, die darin baden!
Heute haben wir einige Kilometer vor uns. Heisst Frühstück um 7:30 Uhr und so gegen 8 Uhr dann auf die Socken machen. Meine Blasen beklebe ich mit reichlich Blasenpflaster und das Sorgenkind – der kleine Zeh am linken Fuss – bekommt noch eine Ladung Watte. Trotz Pflaster und Watte sind Treppen echt beschissen. Es muss furchtbar aussehen wie ich mich die Treppen runter quäle. Ich denke kurz an den noch vor uns liegenden Tag und bekomme etwas Angst. Verdrängungskünstler zu sein muss ja auch sein gutes haben. Gedacht, getan. Ich verdränge. Jetzt erst mal Frühstück!
Nun sind sie da. Die ersten Meter. Und die Blasen melden sich zurück. Ich widme die nächsten Meter der Problemlösung. Die Option aufzuhören ist für mich keine Option. Was also tun? Meine Lösung: a) trotz Schmerzen normal laufen. Auf keinen Fall ein Schongang das führt sonst nur zu anderen Schmerzen und b) nicht dran denken… einfach nicht dran denken… denk nicht dran
Diese Taktik geht erstaunlicherweise voll auf. Es gibt an diesem langen Tag nur 2-3 Momente die nicht so gut sind. Die letzten Kilometer sind natürlich so oder so hart. Und jedes mal wenn man das Ziel erreicht hat, denkt man es hätte kein Kilometer mehr sein dürfen. Natürlich würde man auch diesen noch schaffen.
Von der tollen Natur und den schönen Aussichten habe ich schon genug erzählt. Jetzt wird’s ernst. Wir laufen an diesem Tag knapp über 7 Stunden (reine Laufzeit ohne Pausen). In dieser Zeit legen wir 26,2 Kilometer zurück und bewältigen ungefähr 745 Höhenmeter. In Anbetracht der Tatsache, dass ich sehr selten wandere und schon gar nicht über mehrere Tage, bin ich recht stolz auf diesen Tag und auch die Wanderung insgesamt. Noch schöner ist aber diese unheimliche Zufriedenheit die mit jeder Minute und mit jedem Schritt grösser wird.
Der warme Morgen war schon ein Vorbote für die noch kommende Hitze. Wir sind froh über jeden Meter den wir im Wald laufen können. Feldwege in praller Sonne sind kräftezehrend und mühsam. So legen wir dann zur Mittagszeit eine etwas grössere Pause ein als ursprünglich gedacht. Wir gönnen unseren Füssen eine Erholung und stärken uns im Gasthaus Heiligenbrunnen. Auch dieses Gasthaus kann ich auf jeden Fall empfehlen. Bei der hausgemachten Schwarzwälder kann ich einfach nicht widerstehen 🙂
Aber auch diese Pause hat ein Ende. Und so ziehen wir weiter Richtung Titisee. Unterwegs kommen wir an eine Stelle mit ein paar Bäumen und gestapelten, kleinen Baumstämmen am Wegesrand. Schon aus einiger Entfernung finde ich, dass die Szene was merkwürdiges hat. Es entpuppt sich (im wahrsten Sinne des Wortes) als wir davor stehen. Die ganzen Bäume und Pflanzen im Gras drumherum sind über und über eingepuppt. Es hat irgendwie was gruseliges. Wir machen Witze, dass uns eine Mega-Motto wohl gleich einmotten wird und unser Leben auf grausig Weise ein Ende findet.
Die letzten Kilometer vor Titisee ziehen sich in die Länge (vielleicht liegt’s auch nur an der Torte in meinem Magen). Ständig haben wir das Gefühl wir müssten doch jetzt gleich Titisee sehen. Wir sind schon wieder eine Weile unterwegs und weit kann es nicht mehr sein. Als wir an einem Golfplatz vorbei kommen frage ich mich, wer denn wohl so blöd ist, bei einer solchen Affenhitze Golf zu spielen – es gab tatsächlich welche. 10 Schritte später frage ich mich, wer denn so blöd ist, mit dicken Wanderschuhen, einem voll gepackten Rucksack bei dieser Affenhitze mehr 25 Kilometer zu wandern. Tja… ich kenne da zwei… 🙂
Endlich, endlich Titisee. Wir haben am Mittag noch überlegt in Titisee nochmal entspannt ein Kaffee zu nehmen. Wie naiv wir doch sind. Titisee ist noch gruseliger als die Fast-Begegnung mit der Horror-Mega-Motte. Es ist voll. Übervoll mit Menschen. Ich fühle mich wie ein Verschollener der gerade 6 Monate Dschungel nach einem Flugzeugabsturz überlebt hat. OK, OK. Zugegeben, das ist etwas übertrieben. Aber was 1 1/2 Tage in der Natur mit viel Ruhe und wenig Menschen schon ausmachen können. Fazit Titisee. Es ist extrem heiss, es sind viel zu viele Menschen, es ist laut und es ist wahnsinnig anstrengend.
Wir wollen nur noch raus aus Titisee. Die Stadt haben wir einigermassen schnell durchquert, müssen aber noch die ganze See-Seite entlang und vorbei am Campingplatz. Vom Ortseingang bis zum Ende des Campingplatzes und Beginn des Waldweges sind wir ungefähr 1-1.5 Stunden unterwegs. Am Abend sind wir uns einig, dass diese paar Kilometer die anstrengendsten waren und dazu nicht mal sonderlich schön, ganz im Gegenteil. Am Ende der Wanderung steht dann auch fest, dass diese Kilometer die schlimmsten der ganzen Wanderung waren.
Um 18 Uhr endlich erreichen wir Bahnhof Bärental. Wir wissen noch nicht, dass wir noch etwa 30 Minuten brauchen bis wir vor der Türe unserer Unterkunft stehen. Dort werden wir dann passend mit den Worten begrüsst: „Na, da habt ihr euch ja den heissesten Tag ausgesucht“. Nur fast richtig, denn der nächste Tag sollte heisser werden.
Unser Nachtlager in der Pension Kastner bei Familie Schmälzle ist einfach super. Ein schön eingerichtetes Zimmer und vor allem total liebe und hilfsbereite Gastgeber. Soooo schön!
Zum Abendessen müssen wir nochmal raus. Ich bleibe meiner Strategie treu. Ich ziehe meine Schuhe nicht aus. Oder ich gehe ohne Abendessen schlafen. Ich überlege mir das tatsächlich auch kurz. Natürlich nehmen wir die 5 Minuten Weg nochmal auf uns und gönnen uns ein Abendessen im Hotel Adler. Vor allem aber ist es die nächstgelegene Verpflegungsmöglichkeit :-). Wir geniessen den lauen Abend und ein leichtes und sehr feines Essen. Für mich gibt es einen Wildkräutersalat und danach eine Gulaschsuppe – beides ein Traum. Ich bin mittlerweile wieder im Hotel Adler gewesen (diesmal mit dem Motorrad) und auch beim zweiten Besuch war das Essen hervorragend.
Während dem Abendessen besprechen wir die morgige Tour. Der Wetterbericht sagt auch für den Feldberg ziemliche Hitze voraus. Es sollte auch hier oben 30° C warm werden. Die geplante Etappe sollte von Bärental über Feldberggipfel zum Notschrei führen. Bei dieser Route würden wir genau zur Mittagshitze den Feldberg erreichen, diesen in der Hitze erklimmen und über den Kamm weiter – ohne kühlenden Wälder. Auch ist der Weg bis zum Feldberg nicht zu unterschätzen. Wir überlegen daher mit dem Bus zum Feldberg zu fahren. Bis zum Gipfel könnten wir uns die kleine Freude der Seilbahn gönnen. Vom Feldberg Gipfel könnten wir dann eine schöne, kleine Etappe bis Notschrei starten. Meine Blasen sind von dieser Idee begeistert. Der restliche Teil meines Körpers möchte unheimlich gerne die ursprüngliche Tour laufen. Obwohl ich weiss, dass es die richtige Entscheidung ist, ist ein Teil in mir enttäuscht oder traurig über die Streckenänderung.
Es gibt zwei Momente die diese Entscheidung unterstützen:
1) Als wir uns im Hotel Adler von unseren Stühlen erheben (eher aufraffen) und die ersten Meter doch recht unrund, steif und gequält zurück legen ernten wir mitleidvolles Lachen der restlichen Gäste auf der Terrasse. Auch wir müssen Lachen.
2) Als ich in der Pension endlich meine Wanderschuhe von den Füssen quäle bin auch ich überzeugt. Ich erspare euch die Fotos meiner geschundenen Füsse und der blutigen Watte 🙂
Es ist ein toller zweiter Wandertag! Mit noch stärker schmerzenden Füssen als Tags zuvor und mit einem noch zufriedeneren Gefühl schlafe ich auch heute wieder ein.
1. Etappe: Wilhelmshöhe – Kalte Herberge
2. Etappe: Kalte Herberge – Feldberg-Bärental